[Do, 11.9.2025 – künstliche Faulheit]

Wenn ich mit der KI rede, habe ich oft das Gefühl, es mit zwar hochintelligenten, aber faulen Praktikanten zu tun zu haben. Sie strengt sich zwar an, um mir zu gefallen, und schüttelt ein paar Extras aus dem Ärmel, die sie gerade parat hat, ich muss sie aber immer noch einmal anschieben, damit sie den Sachen auch richtig nachgeht.

So lese ich gerade Stephen Kings Novelle „die Leiche“, nein, keine Horrorgeschichte, und darin gibt es zwei sehr lange und langweilige Passagen, in denen der Erzähler seine eigenen Kurzgeschichten lesen lässt. Man liest also zwei ganze, themenfremde Teenager-Kurzgeschichten innerhalb einer Novelle. Weil mich das furchtbar langweilte, fragte ich die KI, ob diese Geschichten wirklich relevant sind oder man sie auch überspringen kann.

Die Antwort lautete, dass sie die Geschichte „Die Leiche“ nicht kenne, sie aber der Meinung sei, dass bei Stephen King alles zum Plot beitrage und er keine Lückenfüller verwende. Dabei wartete sie durchaus mit Informationen und Referenzen über Kings Werk auf. Das stellte mich natürlich nicht zufrieden. Ich sagte: Natürlich kennst du „Die Leiche“, streng dich ein bisschen an, die heißt auf Englisch nur anders.

Daraufhin antwortete sie sinngemäß: Sorry, stimmt, das muss dann die Novelle mit dem Titel „The Body“ sein.

Sorry. Praktikanten sagen auch immer „Sorry“, wenn man sie beim Faulsein erwischt.

Der KI war aber nicht geläufig, dass darin Kurzgeschichten enthalten sind. Ich sagte: Doch, im ersten Drittel gibt es ein Kapitel mit dem Wort „Stadt“ in seinem Namen.

Und dann wusste sie Bescheid. Sie sagte wieder Sorry und kannte auch gleich die zweite enthaltene Kurzgeschichte (ohne dass ich noch einmal extra danach fragen musste).

Das Gruselige ist allerdings, dass ich heute die Frage erneut stellte. Ein bisschen anders formuliert, mit einem anderen Schwerpunkt. Ich bekam diesmal eine umfangreiche Antwort, sofort schlug sie mir eine Einordnung der beiden Kurzgeschichten vor, sogar mit einer tabellarischen Übersicht.

Im Zusammenhang mit KI verwende ich ständig das Wort „gruselig“

Faul ist die KI oft auch beim Programmieren. Sie spuckt erstmal gut aussehenden Code aus, der sich aber oft im ersten Wurf nicht verwenden lässt. Ich sage dann: Das Programm lässt sich nicht ausführen.

Wie auf Arbeit. Viele Menschen liefern ein Ergebnis, haben es aber nicht selber getestet. Dann sagt sie: Ah, stimmt, ich probiere es mal mit einer anderen Library.

Manchmal funktioniert es dann, manchmal aber auch nicht.

[Di, 9.9.2025 – wie ein Umhang]

Die humpelnde Frau mit dem etwas verrückten schwarzbraunen Welpen. Meine Hündin mag den Welpen nicht, weil er ihr zu wild und zu ungestüm ist. Die Frau und ich sind ungefähr gleich alt, wir konnten eigentlich ganz gut miteinander, wir quatschten immer ein bisschen, nie etwas Wichtiges, nur über unsere Hunde und das, was sich gerade um uns herum abspielte, aber der Vibe stimmte. Ich sah sie schon seit einer Weile nicht mehr.

Heute begegnete ich auf meinem Spaziergang in einer kleinen Straße zwei Hundemenschen. Einen von den beiden kannte ich. Das war der Mann mit dem großen, braunen Doodle. Die Frau mit den Krücken kannte ich jedoch nicht. Sie hatte keine Haare und keine Augenbrauen mehr. Auch bleich war sie. Mitten in der Chemo. Wir sagten hallo, hallo und hallo. Den Mann mit dem Doodle verbindet mich nicht viel, wir grüßten nur, und weil ich die Frau auch nicht kannte, schlenderten die Hündin und ich weiter. Ich war schon ein ganzes Stück weiter vorne, als der Hund der Frau mit den Krücken noch einmal zu uns herüberkam. Es war ein schwarzbrauner Junghund. Ein bisschen ungestüm und wild. Meine Hündin mochte ihn nicht. Sie schaute ihn schon dermaßen griesgrämig an, dass er sofort wieder umdrehte. Aber jetzt erkannte ich den Hund. Es war der Welpe der damals humpelnden Frau.

Mit Krücken und den fehlenden Haaren hatte ich sie schlichtweg nicht erkannt.

Ich will mich jetzt nicht in Betroffenheitsprosa verlieren, ich werde aber nicht der Einzige sein, der sie nicht erkennt, oder vielleicht nicht erkennen will.

Als meine Ex-Freundin in den Niederlanden einen rugbyballgroßen Tumor an ihrer Gebärmutter wachsen hatte, meldeten sich auf einmal viele unserer Freunde nicht mehr. Nicht, weil sie keine Freunde mehr sein wollten, sondern, weil sie die Situation überforderte. Es brachte wenig, sich über die Qualität der Freundschaften aufzuregen. Der Tod ist halt ein sehr schwerer Umhang, der sich über allem legt.

Ich weiß auch nicht, was wir damals am besten gebraucht hätten. Nervöse, besorgte Leute sicherlich nicht. Neugierige Statusfrager auch nicht. Wahrscheinlich will man beim Sterben einfach von ein bisschen Liebe umgeben sein.

Sie starb jedenfalls nicht. Um zumindest diesen Gedankengang positiv abzuschließen.

Die humpelnde Frau bekommt jetzt sicherlich besorgte Kommentare. Oder sie wird ignoriert. Oder sie wird schlichtweg nicht erkannt. Keine der drei Optionen baut so richtig auf. Nächstes Mal werde ich sie ansprechen. Ganz direkt. Dass ich sie beim letzten Mal gar nicht wiedererkannt hatte. Was sie gerade durchmacht, ist schließlich offensichtlich, da muss man gar nicht drumrumreden.

[Mo, 8.9.2025 – im Wartezimmer]

Gestern sah der Fleck noch wie ein leichtes Hämatom aus, heute Nachmittag fand ich es allerdings farblich auffälliger und auch größer als gestern. Kreisförmige, rote Flecken haben ja keinen sonderlich guten Ruf. Ein Check mit Google Lens bekräftigte meine Vermutung, dass ich es hier mit einer Wanderröte zu tun hatte, also Borreliose, eine der beiden Zeckenkrankheiten.

Es war Nachmittag, meine Ärztin hatte ihre Praxis bereits geschlossen. Also rief ich die Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes an, der mir empfahl, mich in die Notaufnahme des Krankenhauses Friedrichshain zu begeben. Dort erhielt ich tatsächlich einen Notfalltermin bei der Dermatologie. So folgte ich der schriftlichen Wegbeschreibung, die mir die Frau an der Anmeldung mitgegeben hatte, und ging durch zahllose Gänge, Zimmer und Abbiegungen und gelangte zu einem orangefarbenen Fahrstuhl, der mich nach oben brachte. Vor der Station sollte ich im Wartebereich so lange sitzen bleiben, bis ich aufgerufen werde.

Außer mir saßen dort noch zwei Frauen, beide schwerstens tätowiert, mit dicken, frakturschriftartigen Buchstaben am Hals. Sie waren ein Paar. Die eine, eher vom Typus Femme, mit langen Haaren und übereinandergekreuzten Beinen, wickelte mich gleich in ein Gespräch ein und sagte, dass sie bereits seit 1,5 Stunden warteten. Es sei niemand aus der Station hinein- oder herausgekommen. Ich sagte, das sei nicht gut. Wir redeten ein bisschen über Ärztemangel, vor allem über Dermatologen, da bekäme man ja nur noch Termine mit ultralanger Vorlaufzeit. Ich sagte, dass ich meine Hautkrebsvorsorge aus diesem Grund schon seit Jahren vor mir herschiebe. Zum Glück hielt ich mich nicht so viel in der Sonne auf, was ich jedoch sogleich korrigierte, weil das natürlich nicht mehr stimmt, seit ich die Hündin habe. „Oooh ein Hund“ sagte sie entzückt. „Wie heißt sie denn?“ Und so redeten wir eine ganze Weile über Hunde. Sie hatten auch einen Hund, ein kleines Mischlingsmädchen aus Rumänien, die sei aber sehr schüchtern und auch ein bisschen ängstlich. Bald übernahm aber die andere der beiden Frauen das Gespräch und wir redeten über ihren Hautausschlag im Ohrkanal. Die andere war eher der Typus Butch, hatte kurze Haare und saß breitbeinig, hatte neben der Frakturschrift am Hals noch mehrere kleine tätowierte Symbole am Kinn und an der Wange und nahm das als Anlass, einmal einen Rundumschlag über die medizinische Versorgung zu verteilen. Ich nickte, sagte aber auch, dass die Ärztinnen ja selber darunter leiden. Sie sagte: „Es ist das System!“. Ja klar, es ist immer das System.

Ich hatte mich auf eine lange Wartezeit eingestellt, da ich von Notfallaufnahmen immer höre, dass man da stundenlang in Warteräumen sitzen muss. Deswegen hatte ich mich gut eingedeckt. Mit einem Notizbuch, Stift, mit Podcasts, die ich vorher heruntergeladen hatte, und mit einem Buch. Eigentlich wollte ich das Buch der Arktisreise fertiglesen, aber da fehlen mir lediglich noch 20 Seiten bis zum Ende. Das Buch würde die Wartezeit nicht überstehen, also nahm ich Knausgårds „Sterben“ mit, das ich auf Seite 400-irgendwas beiseitegelegt hatte, weil ich irgendwann gemerkt hatte, dass mich der Sound dieses Buches zu sehr bei meinem eigenen Romanprojekt beeinflusst. Heute nahm ich es aber trotzdem mit, weil ich dieses Buch in einer handlichen Geschenkausgabe besaß, die prima in mein kleines Männertäschchen passte.

Nun heißt das Buch „STERBEN“ und dieses Wort prangt auch groß auf dem Umschlag. Das sah auf der Notaufnahme natürlich fantastisch aus. Habs dann gleich demonstrativ auf den Tisch gelegt, aber die beiden Frauen interessierten sich nicht dafür, sondern schauten sich Videos auf YouTube an. Sie hörten tatsächlich die ganze Zeit Schlagermusik. Das kann man sich nicht ausdenken: Frakturschrift am Hals und dann hören sie Schlagermusik.

Ich musste dann gar nicht so lange warten. Zuerst kam die eine der beiden Ladies mit dem Problem im Ohr zum Zug. Zehn Minuten später ich. Die Ärztin fragte, warum ich denke, dass es Borreliose sein könne. Ich sagte: Hund, Park, hohes Gras, Brandenburg, kurze Hosen, Schweden, Wald. Sie nickte: Alles zusammen könnte passen. Also verschrieb sie mir ein starkes Antibiotikum und Ende der Story.

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[So, 7.9.2025 – Blogbuch, Mond]

Gestern kamen die gedruckten Blogbücher per Post. Als ich von der Hunderunde die Straße zu meinem Haus hinauflief, sah ich eine Frau von der Post mit ihrem Anhänger vor meinem Haus. Sie schien gerade fertig zu sein, und da ich die Buchsendung heute erwartete, fragte ich sie, ob etwas für Pfeifer dabeigewesen sei. Ich stellte die Frage im Vorbeigehen, eher rhetorisch, wie einen Gruß, eine Art Smalltalk. Seit ich Hundebesitzer bin, mache ich das ständig, dieses Hallosagen mit fremden Leuten und irgendeinen netten Kommentar abgeben, entweder über das Wetter, die schweren Pakete oder irgendwas Lustiges, wenn man sich beispielsweise im Weg stand. Der Kiezstraßenfeger der BSR hebt seinen Arm von der anderen Straßenseite zum Gruß, er sagt etwas Unverständliches zu mir, ich antworte etwas Unverständliches und wir heben wieder den Arm und sagen: „Schönen Tach noch.“ So sind wir Hallosager. Mit Hunden. Es gibt sie aber auch ohne Hunde.

Wenn ich einmal ein alter Mann bin, werde ich vermutlich ein geschwätziger Kiez-Opa.

Weil die Postfrau und ich uns vor dem Haus über den Weg liefen, sagte ich eben rhetorisch: „Na, etwas für Pfeifer dabei?“ Dann stieß sie einen Schrei aus, aus dem ich nicht recht herauslesen konnte, ob es Freude oder Klage war. „PFEIIIIFER!“, sagte sie. „So viele Pakete!“. Sie verzweifelte nämlich gerade an der Überlegung, wie sie mir all diese Pakete übergeben könne. Daraufhin zeigte sie mir ihre gelbe Kiste, die bis zum Rand hin mit Buchpaketen gefüllt war. 21 einzelne Pakete. Alle für mich. Weil auch ich nicht einfach 21 Buchpakete gleichzeitig auf den Armen balancieren kann, schlug ich ihr vor, dass sie mir die ganze Kiste leiht, ich die Bücher darin nach oben trage und ich sie danach wieder hinunterbrächte. Sie arbeitete sich schließlich von Haus zu Haus vor. Da ich sofort wieder herunterkäme, sei sie höchstens bis zum Nachbarhaus gekommen, wo ich ihr die leere Kiste wieder überreichen könne. Sie hielt kurz inne und sagte dann: Das ist ja eine super Idee.

Jo. Fand ich auch.

Zwar gab mir die Lauferei keine Vorteile. Aber ich hatte meine Bücher und war gut gelaunt.

Heute stellte ich sie dann chronologisch geordnet auf dem Boden auf und fotografierte sie. 21 Jahre Weblog. Jedes Jahr ein Buch. Die letzten vier sind richtig dick. In total fast 5000 Seiten, fast 1 Million Wörter. Ich bin wirklich erstaunt, wie viel sich da angesammelt hat. Jetzt habe ich das Blog jedenfalls analog. Wenn die KI und Russland jetzt das Internet löschen, habe ich immerhin einen Abzug.

Mit den Fotos spamte ich meine Instastorys voll. Ich finde die Buchreihe ja voll ästhetisch.

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Abends Blutmond. Wir trafen auf der abendlichen Hunderunde ein paar Familien, die aufgeregt die beste Sicht auf den Blutmond suchten. Er hing in der späten Dämmerung noch etwas tief über dem östlichen Brandenburg. Etwas geheimnisvoll, unheilvoll, noch etwas blass, weil der Himmel noch nicht verdunkelt war. Ich hatte mein Telefon nicht dabei. Aber das Internet ist ja voll davon.

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[Fr, 5.9.2025 – Kautokeino, Paris]

Letztes Jahr, auf der Reise zum Nordkapp, berichtete ich auf der Rückfahrt von einem kleinen Ort namens Kautokeino. Es gab da diese zwar eher unscheinbare, aber etwas trotzige Dorfkirche auf einem Hügel, die uns bereits aus der Ferne anzusprechen schien. Deswegen beschlossen wir damals, zur Kirche zu fahren und eine Pause einzulegen. Es wurde ein sehr schöner, kurzer Aufenthalt auf diesem Hügel mit der Kirche, in einem bezaubernden Birkenwäldchen, das als Friedhof angelegt war.

Ich schrieb damals:
Dieses weite Hochplateau in norwegisch Lappland.
Weite Täler, wilde, ungezähmt schlängelnde Flüsse,
die sich immer wieder zu einem See ausbreiteten.
Etwa auf der Hälfte der Strecke sahen wir uns einem
Dorf nähern, der Ort wirkte einladend und je näher wir
kamen, desto mehr fiel uns die markante Kirche auf.
Ich sagte zu meinem Vater: Komm lass uns eine
Pause einlegen, Kautokeino, hier schauts nett aus.
Er stimmte mir zu. „Kautokeino“ wiederholte er.
Ich schlug vor, bei dieser auffälligen
Kirche zu parken. Ein Schild mit dem Denkmalzeichen
zeigte uns den Weg von der Hauptstraße ab.
Die Kirche stand etwas abseits auf einem Hügel.
Eine kleine, schöne Holzkirche mit einem gezimmerten
Zwiebelturmdach. Kein rundes Zwiebeldach sondern
kubistisch vereinfacht. Wie sie dort auf ihrem
Hügel trotzte, und ein bisschen nachdenklich
über das karge Lappland schaute. Um die Kirche herum befand
sich ein verhältnismäßig großer Friedhof, der
sich über den gesamten östlichen Hügel ausstreckte.
Es war eher ein lichtes Birkenwäldchen mit
verwinkelten Wegen und Felsen. Dazwischendrin
immer wieder Gräber. Friedlich liegende Gräber,
als wären sie willkürlich verstreut. Mein Vater
und ich verloren uns. Ich schoss Dutzende
Fotos der Kirche und des Friedhofes. Keines
will aber wirklich diese magische Stimmung wiedergeben.

Nun lese ich ja gerade das Buch von dieser Französin, die vor zweihundert Jahren die Arktis und auch Lapland bereiste. Auf der Rückreise legte auch sie eine Pause in Kautokeino ein. Und auch sie berichtete, wie sie sich dieser auffällig auf dem Hügel stehenden Kirche näherte. Während des Lesens waren sofort meine inneren Bilder wieder da, dieselben Gefühle wie bei dieser Frau. Das überraschte mich sehr. Überdies übernachtete sie in dieser Kirche, bzw. im angrenzenden Pfarrhaus. Kautokeino bestand damals aus 12 Häusern. Das Kautokeino, das ich antraf, hatte immerhin schon fast 3000 Einwohner.

Am Abend waren wir bei Freunden eingeladen. Sie hatten gerade ihre Familiennamen zu einem Doppelnamen zusammengeführt und wollten das mit ihren Freunden feiern. Es gab Champagner und gutes Bier. Ich unterhielt mich längere Zeit mit dem Gastgeber über Frankreich, da sie den Sommer in der Normandie verbracht hatten. Ich muss ja gestehen, dass ich nie besonders frankophil war. Auch wenn ich Paris durchaus ästhetisch finde, überwogen für mich doch immer die Nachteile. Zu teuer, zu puppenhaft, zu starr, zu gutbürgerlich, zu klischeeartig und vieles mehr. Allerdings hat sich dieses Bild in den letzten Jahren etwas geändert, vor allem durch die Berichte über die radikale Modernisierung des Stadtraumes. Wie die Autos aus der Stadt verdrängt werden, wie sehr sich anfangs die ganze Stadt dagegen sträubte und wie sehr die Veränderung in Lebensqualität mittlerweile angenommen und geliebt wird.

Dann sitze ich immer in meinem Berlin und denke an die holprigen Fahrradpisten und die CDU und diese religiösen Gefühle zum Auto. Und werde verstimmt.

[Do, 4.9.2025 – Subgenre]

Auf meinem Notizzettel stehen zwei längere Fragmente, die als Blogeinträge geplant waren. Ich schrieb die letzten beiden Tage daran, sie sind aber beide nicht fertig geworden. Weil sie mich langweilten und ich gerade im Romanprojekt wieder einen Flow habe.

In dem ersten Blogfragment beschrieb ich einen seltsamen Muskelkater, den ich neuerdings als Fünfzigjähriger habe. Nach den Sporteinheiten plagt mich nicht mehr ein akuter Muskelschmerz wie früher, es ist eher eine dumpf schmerzende Müdigkeit, die sich wie eine schwere Decke über mein Gerüst legt. Des Weiteren referierte ich in dem Fragment über die Maschinen im Fitnessstudio, dass ich sie alle durchschaut habe und ich deswegen zu Decathlon am Alex fuhr und mir zwei 7,5-kg-Hanteln kaufte, weil ich der Überzeugung bin, dass ich einen Großteil der Übungen auch mit Hanteln absolvieren kann. Ich erklärte das in den Notizen sehr ausführlich. Ich gelangte nämlich zur Erkenntnis, dass ich viele Übungen zuhause ausführen kann, während ich im Studio jene Übungen durchführen werde, die sich zuhause nicht so gut umsetzen lassen, wie beispielsweise die Bewegungen an der Trizepsmaschine oder der Rudermaschine, sowie sämtliche Übungen für Knie und vor allem Abduktoren (innen wie außen). Zudem beschrieb ich in den Notizen, wie ich auf dem Weg nach Hause die Hanteln vorne im Fahrradkorb transportierte: 2 × 7,5 kg sind zusammengerechnet 14 Kilo und jetzt habe ich am Vorderreifen einen Platten. In den Notizen führte ich das alles sehr umständlich aus. Lustig war es nicht. Auch nicht informativ. Die Sache mit dem platten Reifen hätte ich sicherlich irgendwie unterhaltsam darstellen können, aber es fehlte mir an Fantasie. Das Blog ist ja meine Experimentierwiese, wo ich mich frei darin üben kann, Begebenheiten in Textform zu bringen. Es gelang mir aber nicht, einen platten Vorderreifen mit dem Transport von Hanteln im Fahrradkorb auf eine lustige Weise zusammenzubringen. Eigentlich ist das ja auch nicht lustig. Mir kam aber vor, dass darin viel künstlerisches Potenzial liegt.

In der Rohfassung des anderen Blogeintrags beschäftige ich mich mit dem Reisen. Diese Rohfassung ist unfassbar fragmentiert. Sie besteht aus neun Absätzen, die ich allesamt nicht zu Ende denken konnte. Nach jedem Absatz, den ich nicht zu Ende denken konnte, machte ich eine Pause, um ihn später zu vervollständigen, und fing einen neuen Absatz mit einem weiterführenden Gedanken an, den ich aber wieder nicht abschloss, aber wiederum einen neuen Absatz mit einem weiterführenden Gedanken begann. Das ging neun Mal so. Ich äußerte mich darin etwas despektierlich über Travelfluencer und Pauschalreisende sowie Menschen, die Bucket-Lists abklappern, und ich behauptete, dass ich Reisen nicht mehr wirklich mag. Während des Schreibens fiel mir aber auch auf, dass das eine grobschlächtige Aussage von mir ist, und deswegen überlegte ich lange, was mich von anderen Reisenden unterscheidet, und da hatte ich wieder einen Gedanken, den ich nicht zu Ende denken konnte, aber diesmal beließ ich es dann auch dabei und brachte den ganzen Eintrag nicht zu Ende.

Trotzdem werde ich den Text vermutlich irgendwann aufgreifen, da ich ein paar Gedanken dazu wichtig finde. Vielleicht finde ich dann einmal den richtigen Ton und vielleicht klären sich auch die Gedanken zu dem Thema. Bis dahin bleibt er irgendwo auf meinem Notizzettel hängen.

Mein Notizzettel ist ja eine Buchstabensenke. Ich verfasse alles darin: Mails, Blogeinträge, längere Nachrichten für den Messenger, damit die Empfängerin nicht stundenlang „Markus is typing…“ liest, ich kopiere IBAN-Nummern hinein, um sie irgendwo anders hin zu übertragen, ich führe darin eine Liste des Amazonrankings meiner Novelle, ich habe dort ein „å“ stehen, damit ich es copypasten kann, um schwedische Wörter korrekt zu schreiben. Sogar meine Steuernummer habe ich in dieser Textdatei hinterlegt. Es ist eine ganz simple, flache Textdatei. Sie beruhigt mich.

Vielleicht mache ich das jetzt auch immer so, dass ich meine Blogeinträge kommentiere, anstatt sie zu veröffentlichen. Als wäre es ein eigenes Subgenre.

[Di, 2.9.2025 – Loses über die anstehende Reise in die Arktis]

Die Nachbarin und ihr Sohn sind heute nach schwedisch Lappland aufgebrochen. Sie werden drei Wochen lang über den 470 km langen Kungsleden, den Königspfad, wandern. Das bedeutet: Schlafsäcke, eisige Nächte, kein Strom, kein Netz und viel zu Fuß und mit schwerem Gepäck unterwegs zu sein. Eigentlich wollte ich aber sagen: eine traumwandlerische Reise zu Fuß durch eine surreale Landschaft fern der Zivilisation. Ich habe ziemlichen Respekt vor einer solchen Unternehmung. Wenn ich in den hohen Norden reise, dann sind meine Ziele immer eher zivilisatorischer Natur. Ich besuche die Dörfer, die Orte. In die Wildnis begebe ich mich nur punktuell. Als die Nachbarin und ihr Sohn uns letzten Mai in Schweden besuchten, planten sie die Reise bereits. Wie sie von den Bedingungen erzählten, von den Vorplanungen, der Ausrüstung, das alles erweckte schon eine Lust in mir. Ich weiß jetzt schon, dass ich eine solche Wanderung einmal unternehmen werde.

Apropos Planung. Wir haben noch nichts für unsere Grönlandreise in drei Wochen geplant. Die Detailplanung überlässt meine Frau ja immer mir. Wir fliegen zuerst nach Island, wo wir drei oder vier Tage bleiben, weil meine Frau dort arbeiten muss. Ich sollte mir daher etwas vornehmen, ansonsten hänge ich nur in Museumsshops, Restaurants und Bierbars herum. Bei unserer letzten Islandreise hatte ich noch keinen Führerschein. Damals nahm ich mir vor, beim nächsten Mal ein Auto zu mieten. Wenn ich aber zurückdenke, dann hatten wir die schönsten Momente der Reise in diesen kleinen Überlandbussen. Wir hatten nämlich oft Glück, dass wir die einzigen Passagiere waren und dann vorne beim Fahrer saßen, mit dem wir uns die ganze Zeit unterhalten konnten. Die Fahrer sind in der Regel Frühpensionäre, die gerne reden und viel zu erzählen haben. Das meiste Detailwissen, das ich mir über Island angeeignet habe, kommt von diesen Busfahrern.

Ich muss mal sehen, was ich mache. Natürlich würde ich gerne die damalige Route entlang der Südküste fahren, die Gegend ist heute wegen der Risse im Boden und der Lavaströme aber weitgehend gesperrt. Die Geysire und Wasserfälle werde ich mir aber nicht geben, das fand ich damals sehr überlaufen. Eventuell würde ich nach Akureyri in den Norden fahren, das ist außerhalb der Reykjavik-Region die größte Stadt auf der Insel. Außerdem läuft durch Akureyri die 10°-Juli-Isotherme und gehört somit offiziell zur Arktis. Letztes Mal wollten wir von Akureyri aus eine Walbeobachtungs-Tour unternehmen, aber das schafften wir zeitlich nicht mehr. Allerdings glaube ich auch, dass ich das dieses Mal zeitlich nicht hinbekomme. Abends muss ich meine Frau und ihre Kolleginnen bespaßen, ich bin ja die First Lady, ich kann mich nicht einfach vom Acker machen.

Aber Grönland ist anders. Wir werden auch dort nur vier Tage sein. Vielleicht plane ich die Schifffahrt in Grönland. Außerdem ist gerade gute Polarlicht-Zeit. Eine kleine Wanderung zu den Gletschern fände ich auch gut, allerdings sollte ich beachten, dass dort Eisbären leben. Das wird ähnlich wie in Longyearbyen sein, dass man die Dörfer nur mit einer Waffe oder in Begleitung erfahrener Guides verlassen kann. Eisbären töten nämlich nicht, sondern sie fressen einfach drauflos. Während man schreit. Wir werden uns vor allem in Nuuk aufhalten. Eisbären meiden die Städte eigentlich, sie leben ja eher auf dem Pack- bzw. Meereis. Allerdings nähern sie sich aufgrund des verschwindenden Eises und des damit zusammenhängenden Nahrungsmangels auch den Siedlungen. Menschen sind zwar weitaus weniger nahrhaft als Robben, aber als kleiner Proteinsnack für den kleinen Hunger zwischendurch auch annehmbar. Sage ich jetzt mal ganz mutig und kokett an meinem Schreibtisch. Ich kann mich an die Angst erinnern, als wir vor zwei Jahren auf dieser leeren Ebene oberhalb Longyearbyens liefen und ich unten im Dorf diesen weißen Golden Retriever sah.

Und dann: Kleidung. In Nuuk hat es heute geschneit. Für Ende September gibt es noch keine Prognose. Auch nach Spitzbergen fuhren wir Ende September. Da hatten wir schon –15 Grad. Weil wir damals auf der Hinreise einen Tag im relativ warmen Oslo verbrachten, reiste ich mit kurzer Hose und hatte dummerweise meine Winterjacke im großen Gepäck mitgegeben. Das wird mir dieses Mal nicht passieren. In Reykjavík misst es immerhin noch 14 Grad plus.

Nun.

Ich muss jetzt langsam planen.

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[So, 31.8.2025 – Burli, Arktis1839]

Ich singe meiner Hündin manchmal Lieder vor. Dabei bilde ich mir ein, dass sie es mag. Auch Pflanzen mögen Musik und Babys sowieso. Dass meine Hündin Musik mögen würde, liegt auf der Hand. Schon als sie ein Welpe war, sang ich ihr ein Lied von den EAV vor. Dafür dichtete ich „Burli“ in „Wollie“ um. So heißt sie nämlich. Statt „Burli, hat links und rechts drei O(ua)hrli“ singe ich „Wollie, hat links und rechts nen Knollie“. Mir macht das gute Laune und vier Jahre lang dachte ich, dass es auch bei ihr für gute Stimmung sorgt. Aber so recht schlau wurde ich daraus nie. Gestern schaute sie mich lange an. Sie hatte dabei wieder diesen ausdruckslosen, aber nachdenklichen Blick. Nach einer Weile sagte sie: „Mach das nicht.“

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Dafür ist gerade perfektes Wetter. Wolken und 21 Grad. Ich mochte auch dieses schwül-kühle Nieselwetter vom Freitag.

Abends sitze ich lange auf dem Balkon und lese. Gerade sitze ich an diesem Reisebericht von Léonie d’Aunet, der Französin, die 1839 in die Arktis fuhr. Anfangs fand ich das Buch ganz anregend, wie sie Amsterdam, Hamburg und Kopenhagen schilderte. Das ist alles 200 Jahre her und es lässt sich immer noch eine Essenz rauslesen, die auf die heutige Zeit zutrifft. Lustig fand ich auch, wie sie die Schwedinnen beschrieb. Dass es alles schöne Frauen mit unfassbar schlechten Zähnen waren, oder wie sie diese schwedischen Mittelstädte beschrieb, als lieblose Siedlungen mit quadratischem Straßenmuster. Zwar sind die erwähnten Städte heute durchaus ansehnliche und belebte Orte geworden, aber dafür gibt es landeinwärts unzählige solcher quadratischen Siedlungen mit einer Tankstelle und einem Supermarkt. Diese Ästhetik, die man auch im ländlichen Nordamerika überall findet. Ich finde das ja durchaus charmant.

Dennoch langweilt mich das Buch mittlerweile. Die Autorin ist nicht besonders neugierig. Sie beurteilt alles durch ihre Paris-Brille aus 1839, das Paris, das damals zweifellos der Nabel der Zivilisation war, und deswegen bewertet sie ständig nach Maßstäben der Mode und des Reisekomforts und des Essens. Was es einerseits zu einem interessanten Zeitdokument macht, andererseits wird man aber auch schnell müde davon, wie sie ständig über die ärmlichen Verhältnisse und den Gestank der Leute herzieht. Zudem stellte ich irgendwann fest, dass sie zum Zeitpunkt der Reise 19 Jahre alt war, und will mich jetzt nicht des Ageisms bezichtigt sehen, aber die Gedanken von privilegierten neunzehnjährigen Menschen interessieren mich eher so mittelmäßig, wenn sie mir eine Arktisreise aus dem neunzehnten Jahrhundert schildern.

Seltsam ist auch, dass sie niemals ihren Mann erwähnt, den sie auf ihrer Reise eigentlich begleitet. Er kommt schlichtweg nicht vor. Es erweckt den Anschein, dass sie alleine reist. Dabei ist sie sogar Teil einer richtigen Expedition. Ihr Text wirkt, als würde sie sich auf einer kuratierten Reise befinden, auf der sich zwar in jedem Hafen und bei jedem Aufenthalt jemand um ihr Wohlergehen kümmert, aber hätte sie am Anfang des Buches nicht die Expedition erwähnt und wie sie sich ihre Teilnahme daran mit List ergattert hatte – man würde es aus dem Text nicht herauslesen können. Vielleicht liebte sie ihren Mann auch nicht genug. Das war François-Auguste Biard, ein damals recht bekannter Maler. Vier Jahre nach dieser Reise hatte sie eine langjährige Affäre mit Victor Hugo und kam deswegen ins Gefängnis. Wo sie später von Victor Hugos Ehefrau besucht wurde, die ihr wiederum dabei half, ihre Texte zu veröffentlichen. Verrückte Geschichte.

Trotz der auftretenden Langeweile werde ich weiterlesen. Sie befindet sich gerade in Hammerfest und wird bald nach Spitzbergen übersetzen. Damals gab es Longyearbyen noch nicht, das wurde erst 70 Jahre später gegründet, als man da Kohle abzubauen begann. Es gibt eine Karte ihrer Reise. Sie wird ganz hinauf bis zur Packeisgrenze am 80. Breitengrad segeln und an mehreren Stellen an Land gehen. Auf dem Rückweg wird sie über Alta, Finnland, Luleå und Umeå bis nach Stockholm fahren. Ungefähr die Strecke, die auch ich letztes Jahr fuhr. Ich werde mindestens bis zu ihrer Ankunft nach Berlin lesen. Berlin im Herbst 1839. Da war Preußen noch ein mittelmäßiges Königreich. Berlin muss ein unfassbar langweiliges Loch gewesen sein. Darauf freue ich mich. Ob ich danach noch Leipzig → Kassel → Mainz usw. lese, weiß ich allerdings nicht.

[Fr, 29.8.2025 – C. Wahl, Literaturkritik, Heimniederlage]

Diese aufgeregte Häme, die gerade über Caroline Wahl verteilt wird. Morgen kommt ihr neuer Roman heraus. Heute zogen bereits ernsthafte Feuilletonisten in Podcasts und Insta über sie her. Von oben herab spottend, unsouverän belehrend, mit selbstgerechtem Oberlehrergelächter.

Eine von mir geschätzte Kritikerin des Deutschlandfunks sah sich berufen, ein unlustiges Video auf Insta zu drehen, in dem sie ironisch ein Dessert zubereitet, weil auch bei Caroline Wahl ständig Süßigkeiten zubereitet werden. Währenddessen referiert sie wie eine besserwisserische Tante darüber, wie klischeehaft ihre Figuren sind. Ja, Caroline Wahls Klagen über den Buchpreis war sicherlich kein guter Move und man muss ihre Bücher nicht mögen, aber ich fand Literaturkritik selten so uncool.

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Später ins Olympiastadion zum Spiel gegen Elversberg gegangen. Die Freunde aus meinem Fanclub versprühten alle wenig Euphorie. Die ersten drei Saisonspiele gaben auch keinen Grund, sich auf das Ballgeschiebe zu freuen. Ich war aber ungemein optimistisch, ich fühlte es in meinem Bauch, dass die Mannschaft heute ihren Schalter finden wird. Eine Stunde vor Anpfiff standen wir noch am Rondell, wo alle etwas zynisch davon berichteten, wie sie am letzten Montag diesen völlig unverdienten Sieg gegen Münster erlebt hatten. Marcos war in Münster vor Ort gewesen und hatte eine Karte für den VIP-Bereich gehabt. Nach dem Spiel war er von enttäuschten Münsterfans umgeben, und er hatte ständig das Bedürfnis, sich für den unverdienten Sieg unserer Mannschaft zu entschuldigen. Ich glaube, ich hätte in dieser Situation sogar den VIP-Champagner wieder ausgespuckt.

Ich ging mit Benny und seiner Frau wieder in den Block T.1, zu Locke und den anderen. Die Stimmung ist dort wirklich angenehmer. Sogar bei einem lähmenden Spiel wie diesem. Ich konnte es regelrecht erfühlen, wie in meinem alten Block gerade Verbalkotze über die Ränge gestreut wurde. Am Anfang der zweiten Halbzeit ging ich trotzdem kurz rüber in Q.3, um ein paar Freunde zu begrüßen. Zudem wollte ich Natalie und die anderen besuchen, die jetzt zwanzig Reihen nach oben gezogen sind. Aber ich konnte sie nicht finden.

Weil ich im Stadion unterwegs war, bekam ich das zweite Gegentor nicht mit. Der Gegner, SV Elversberg, hatte nur etwa 200 Fans mitgebracht, und wenn nur 200 Menschen jubeln, hört man in dieser riesigen Betonschüssel davon wenig. Erst, als ich wieder in T.1 meinen Platz einnahm, sah ich das 0:2 auf der Anzeigetafel leuchten. Die Ränge wurden leise, die Ultras versuchten, die Kurve wieder zum Leben zu erwecken, aber es wollte nicht so recht bei uns ankommen. Ich sang ein paar Liedzeilen mit, verlor nach einer halben Strophe aber die Motivation. So schien es allen um mich herum zu gehen. Als Gechter in der 77. Minute mit Gelb-Rot vom Platz verwiesen wurde, überlegte ich, zu gehen. Ich blieb aber noch bis zur 85. Minute, als auch Benny sagte, dass es ihm reiche. Also verließen ich mit ihm und seiner Frau das Stadion. Wir verloren uns aber aus den Augen. Vor dem Stadion traf ich Tanja, die dort auf den Steinstufen saß und auf dem Telefon herummachte. Sie hatte mir geschrieben, aber ich hatte das nicht mitbekommen. Sie war nach Wiederanpfiff zur zweiten Hälfte nicht mehr zurück in die Kurve gegangen, sondern draußen geblieben. Sie hatte keine Lust mehr, sich das anzusehen. Dennoch blieb sie und wartete auf ihren Freund. Ich ging dann weiter zur S-Bahn, ich würde vor dem ersten Ansturm bei den Bahnen sein und vielleicht noch einen Sitzplatz finden. Solche Niederlagen sind mit Sitzplatz besser zu ertragen.

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[Do, 28.8.2025 – mittelalte Männer, Arctic Pine, Holz-Teer, Verandas]

Ich möchte gerne Martin Suter lesen, weil meine Schwester den so mag und er eine tolle Frisur hat, aber jedes Mal, wenn ich im Buchladen stehe und den Klappentext lese, finde ich das alles unfassbar uninteressant. Geschäftsmänner, die sich in Hippiemädchen verlieben und dann halluzinogene Drogen nehmen, oder überhaupt ständig irgendwelche mittelalten, finanziell gutsituierten Männer, die sich in jüngere Frauen verlieben.

Wie ich neulich berichtete, höre ich jetzt Bücher, die ich zu fad zum Lesen finde, als Hörbücher. Für mich funktioniert das ganz wunderbar. Dann verschwende ich keine Zeit damit, kann mich aber trotzdem ein bisschen in den Text reinfinden. Aber auch vorgelesen handelt es sich bei Suter um gutsituierte mittelalte Männer, die sich in junge Frauen verlieben. Das kann man nicht ändern.

Für Hörbücher verwende ich übrigens BookBeat. Ist Amazon-frei und europäisch.

Apropos mittelalte Männer: Demnächst werde ich beruflich wahrscheinlich viel Zeit in Hamburg verbringen und ich suche deswegen wieder einmal nach Taschen. Einen kleinen, praktischen Koffer habe ich bereits, sowie einen schönen Weekender aus schwarzem Kunstleder, aber ich möchte auch so etwas wie eine Aktentasche, eine schnell verfügbare Tasche für Laptop, Bücher und Unterlagen. Männertaschen sind fast durchgehend von schlechtem Stil. Ich fand ein paar Damentaschen, die mir gefielen, die ich mir irgendwie als Unisex-Taschen schöngesehen hatte. Ich schickte Bilder davon zur Begutachtung an meine Frau, die lehnte die Damentaschen allesamt ab. Mit der Begründung, dass Taschen nicht non-binary sind. Alles andere kann ihretwegen Non-Binary sein, aber nicht Taschen.

Dafür habe ich nun den Hersteller der „Arctic Pine“-Handseife gefunden, die wir vorletzten Winter in dem Hotel in Finnisch-Lappland gekauft hatten. Die Marke heißt „Rento“, das klingt fast wie eine Verschmelzung von Rene Benko, es handelt sich aber um Finnen, das ist ganz etwas anderes als Nordtiroler. Ich blieb eine ganze Weile in deren Shop hängen. Sie stellen neben Seifen mit anderen Gerüchen aus Lappland auch schwarze Seifen aus Holz-Teer her, die fand ich ungemein ästhetisch. Außerdem haben sie Sauna-Gerüche im Angebot. Unseren „Arctic Pine“-Lieblingsgeruch gibt es auch als Sauna-Duft oder als Raumduft oder Duschgel. Meine Frau hat aber Angst, dass wir die positiven Gefühle, die wir zu diesem Geruch haben, etwas überstrapazieren, wenn wir unser ganzes Leben damit einhüllen. Das Holzteer fand ich dennoch interessant. Ich möchte wirklich gerne wissen, wie das riecht, aber da hatte ich die andere Bestellung bereits abgegeben. Außerdem haben wir ja eh keine Sauna, ich bin ja auch kein Sauna-Typ. Aber ich überlege regelmäßig, mir in Schweden eine Sauna zu bauen, wenn schon nicht für mich, dann wenigstens für meine Frau und unsere Gäste. Ich meine, welcher Ort bietet sich besser an, um eine Sauna zu bauen, als ein Holzhaus im schwedischen Wald? Ich hätte sogar eine Stelle dafür, unten am Fuß des Waldes, wo der Weg zum Fluss nicht mehr weit ist. Also schaute ich wieder nach Videos auf YouTube, wo Menschen selber eine Sauna bauen. Solche Videos könnte ich ja ewig schauen, aber eine Sauna ist mir dann doch zu kompliziert. Deswegen lande ich wieder bei Verandas oder zumindest Terrassen. Den Überbau kann ich ja später noch draufsetzen. Ich habe irgendwann fünf, sechs, sieben Tabs offen, mit Videos von mittelalten Männern und Maschinen, in denen Verandas aus Holz gebaut werden. Und plötzlich ist es Abend.

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